Cover
Titel
Zionism’s Maritime Revolution. The Yishuv’s Hold on the Land of Israel’s Sea and Shores, 1917–1948


Autor(en)
Cohen-Hattab, Kobi
Erschienen
Anzahl Seiten
X, 335 S.
Preis
€ 99,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Joachim Schlör, The Parkes Institute for the Study of Jewish/non-Jewish Relations, University of Southampton

Maritime Kulturgeschichte gehört noch nicht zu den etablierten Forschungsbereichen im Rahmen der Jüdischen Studien. Dabei bietet sie, wie vor fast 20 Jahren David Cesarani, Lois Dubin und andere mit dem Port Jews-Projekt („Jewish Communities in Cosmopolitan Maritime Trading Centres, 1550–1950“) gezeigt haben, die Möglichkeit, eurozentrische und eindimensionale Perspektiven auf die jüdische Geschichte aufzubrechen. Studien in Bereichen wie Migration oder Transnationalismus sind ohne eine Berücksichtigung maritimer Aspekte – Hafenstädte, Schiffsreisen, Herausbildung von Netzwerken – gar nicht denkbar und haben die „geographical imagination“ der Jüdischen Studien beträchtlich erweitert.

Im Falle der Geschichte Israels wird besonders deutlich, wie zentral dabei tatsächlich die Frage der Perspektive ist. Schauen wir, wie Einwanderer, vom Schiff herunter auf die Silhouette des Carmel-Berges? Oder schauen wir von der Stadt Haifa her hinaus auf das Meer? Während der erste Zugang in den letzten Jahren von Forschern wie David Jünger und Björn Siegel (auch vom Verfasser dieser Rezension) gewählt wurde und neue Einblicke etwa in die Bedeutung der Schiffsreise als Aufenthalt im Dazwischen erbracht hat, war es in Israel vor allem Maoz Azaryahu, der seinen eigenen Arbeiten über die zionistische Kreation einer „homelandscape“ aufschlussreiche Studien über die „formation of the Hebrew sea“ folgen ließ.1 Kobi Cohen-Hattab, dessen Kindheit vom Leben am Wasser geprägt war, vertieft diesen Zugang nun mit seinem Buch, dessen Ausgangspunkt die Erkenntnis einer Fehlstelle im Studium der Geschichte Israels war – „the absence of research on the sea’s role in the chronicles of the new Jewish Zionist settlement in the land“ (S. VII). Die Studie umfasst die Zeit zwischen der Balfour Declaration 1917 und der Staatsgründung 1948. Sie bezieht sich weiter auf den Yishuv, die vorstaatliche jüdische Gemeinschaft in Palästina, und damit nicht auf die gesamte Bevölkerung des Landes – nur wenige Forscher haben sich, wie etwa Naor Ben-Yehoyada, auch um eine Einbeziehung der arabischen Perspektive bemüht.2

Welche Beziehungen zur See hat diese jüdische Gemeinschaft von Pionieren und Besiedlern des Landes entwickelt? Wenn aus der Sicht einer historischen Kulturgeographie die Landschaft von prägender Bedeutung für das kulturelle Selbstverständnis einer Gruppe ist, welchen Platz hat darin das Meer? Musste es in gleichem Maße, und auf gleiche Weise, „erobert“ werden wie das Land? Hat aufgrund der gegebenen kulturgeographischen Verhältnisse in dem recht kleinen Land am vergleichsweise großen und aus maritim-historischer Sicht so reichhaltigen Mittelmeer eine „maritime Revolution“ stattgefunden? Das sind die Leitfragen dieser Studie, die in fünf – von einer Einleitung und einer Konklusion eingerahmte – Kapitel aufgegliedert ist.

Das erste Kapitel gibt, sinnvollerweise, Informationen zum historischen Hintergrund: zur mediterranen Kultur, zur Bedeutung des Kolonialismus – wenn das der richtige Begriff ist –, zur Entwicklung der zionistischen Bewegung, die im Meer zunächst wenig mehr sah als „a means of transit“ (S. 14), sowie zur Rolle des Meeres in der Geschichte Israels und zu ersten maritimen Aktivitäten in der Endphase der osmanischen Herrschaft. Cohen-Hattab verwendet hier, wie ja auch im Untertitel des Buches, die etwas ungewöhnliche Formel „the sea in the land of Israel’s history“. Ist die See also aus seiner Perspektive Teil des Landes? Das ist durchaus eine wichtige konzeptionelle Frage. Wenn der Autor die Kategorien aufzählt, die „the links between man and the sea over time“ (S. 9) kennzeichnen sollen, fällt doch eine utilitaristische Sichtweise ins Auge, die das Meer in erster Linie als Objekt ansieht – „offering financial gain“, „transport pathways for goods and people“, „the arena for maritime powers’s struggle for control“ und nur ganz zuletzt „the sea as a source of inspiration for culture and art“ (S. 9) – und ihm, dem Meer, einen eigenen Charakter, eine eigene historische Rolle gar nicht zugesteht.

Diese Sichtweise prägt die folgenden Kapitel, die den Entwicklungen einer „Jewish maritime activity“ in fünf chronologischen Schritten nachgehen. Am Anfang steht die von Meir Gurvitz in Jaffa gegründete und von 1919 bis 1921 bestehende „Water Commision“, die zuerst Ziele für die Herausbildung einer zionistischen maritimen Kultur formulierte. In diesen frühen Jahren finden sich zahlreiche Beispiele einer immerhin angestrebten, wenn auch selten umgesetzten Kooperation mit der noch dominierenden arabischen maritimen Welt, etwa unter den Trägern und Hafenarbeitern in Jaffa. Im Zusammenhang mit dem Aufbau einer agrikulturellen und industriellen Infrastruktur im Land wuchs die Bedeutung der Häfen als „interfaces“ zwischen dem Land und dem Meer: Schifffahrtslinien richteten Agenturen ein, Transportunternehmen siedelten sich an, 1928 wurde die Kooperative Hanamal gegründet. Mit dem Ausbau eines neuen Hafens in Haifa durch die britische Mandatsmacht entstand, wenn auch langsam, eine neue jüdische Hafenarbeiterschaft, unterstützt durch die Ankunft jüdischer Seeleute aus der griechischen Hafenstadt Saloniki.

Anlässlich der Eröffnung des Hafens am 31. Oktober 1933 publizierte David Ben-Gurion einen Artikel in der Zeitung Davar, den Cohen-Hattab an den Beginn des dritten Kapitels stellt. Darin bezeichnete Ben-Gurion das Meer nicht nur als natürliche Brücke „unseres kleinen Landes zur großen Welt“ (S. 105), sondern auch als organischen Teil, politisch wie ökonomisch, dieses Landes, der Weg zum Meer sei zugleich der Weg zur Expansion des Territoriums. Das Datum der Eröffnung stellt diese historischen Meilenstein zugleich in den Zusammenhang mit der Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland und mit dem Beginn einer – nur über das Meer zu bewerkstelligenden – massenhaften Einwanderung bedrängter und verfolgter Juden aus Deutschland und Mitteleuropa. Der zunehmende Widerstand arabischer Institutionen gegen diese Einwanderung und die beginnende Distanzierung der Briten von ihrer in der Balfour-Erklärung 1917 zugesagten Unterstützung einer jüdischen Heimstätte in Palästina führte 1936 zu einem Streik im Hafen von Jaffa und dessen zeitweiliger Schließung. Dadurch wiederum entstand ein selbst in der an Gründungsmythen so reichen zionistischen Erzählung ganz besonderes Ereignis: die Errichtung des Hafens von Tel Aviv. Pläne dafür hatte es schon lange gegeben, nun aber boten die politischen Umstände der jungen Stadt die Gelegenheit, ein Zeichen gegen die „vom Lande“ her oft geäußerte Kritik am bürgerlichen Lebensstil Tel Avivs zu setzen. Im Mai 1936 wurde ein erster hölzerner Pier südlich der Mündung des Yarkon erbaut und schon einen Monat später ankerte das erste Schiff, die jugoslawische „Chaterty“, mit tausend Tonnen Zement an Bord im „Hafen“ von Tel Aviv. Bürgermeister Dizengoff hielt eine pathetische Rede, „today we wish to conquer the sea” (S. 132), und Fotografen wie Rudi Weissenstein hielten das neue „Tor Zions“ in Aufnahmen fest. Zu Recht betont auch Cohen-Hattab die große symbolische Bedeutung dieses Baus, „an event of extraordinary historic significance for the Yishuv“ (S. 137). Mit ihm hatte die sich entwickelnde maritime Kultur einen Bezugspunkt gefunden. In diesen Jahren entstanden neun private, „Jewish-owned shipping companies“ wie die Palestine Shipping Co. Ltd. mit ihrem Flaggschiff „Tel Aviv“ oder die Palestine Maritime Lloyd Ltd. mit den Schiffen „Har Zion“, „Har Carmel“ und „Miriam“, aber auch die Gesellschaft Nahshon.

Weitere Institutionen wie die Palestine Maritime League folgten, und der Autor zeichnet deren Einfluss im Detail nach. Dazu gehörten Schwimmschulen und sportliche Einrichtungen, betrieben von der bereits 1928 gegründeten „Zevulun Seafarer’s Association“, ebenso wie die Einrichtung von Fischerdörfern entlang der Küste in Zusammenarbeit mit den dort bereits bestehenden Kibbuzim – allerdings zeigten sich die ideologischen Risse innerhalb des Yishuv auch hier, was Cohen-Hattab als „the left-right political divide in the maritime realm“ (S. 189) bezeichnet. Das vierte Kapitel zeichnet die Entwicklung der Häfen, der Schifffahrt und der Fischerei während des Zweiten Weltkriegs nach, während sich das fünfte Kapitel mit dem Weg zu einer jüdischen maritimen Souveränität befasst – mehr und mehr geriet auch die erst im Ansatz entwickelte maritime Kultur im Land unter das Primat des Militärischen. Haganah und Palmach bauten maritime Spezialeinheiten auf – zur „Palyam“ gehörte etwa der damals 18-jährige Yoram Kaniuk, der viele Jahre später in seinem Buch über den Kommandanten der Exodus, Yossi Harel, die Begegnung dieser im Land geborenen Generation von „Sabras“ mit den Überlebenden des Holocaust, auf den Schiffen im Dazwischen, zum eigentlichen Gründungsmoment des Staates Israel erklärte.3

Am 7. Juni 1945 wurde die nationale Schifffahrtsgesellschaft gegründet, Zim – Palestine Navigation Company Ltd., ihr erstes Schiff „Kedmah“ erreichte den Hafen von Tel Aviv am 28. Juli 1947, eine erneute Gelegenheit zur Feier künftiger Unabhängigkeit und (nicht nur) maritimer Souveränität. In seiner Konklusion fasst Cohen-Hattab die Ergebnisse seiner Forschungen, die auf der Arbeit in zahlreichen Archiven beruht, darunter dem der Zim Company Archives, in wenigen Abschnitten zusammen. Den Begriff einer maritimen Revolution sieht er gerechtfertigt durch eine, wenn auch anfangs graduelle und zögerliche, Hinwendung zur See – in der Gesellschaft des Yishuv wuchs eine maritime awareness ebenso wie in ihren Führungspersönlichkeiten und Gremien; Regionen entlang des Mittelmeers sowie der Seen Genezareth und Hula wurden besiedelt und die Fischerei weiter entwickelt; auch in der Arbeiterschaft etablierte sich ein maritimes Bewusstsein. Auch wenn es ideologische Spannungen innerhalb des Yishuv gab, nicht nur entlang der bekannten Linien zwischen dem „mainstream“ der Jewish Agency und den Revisionisten, sondern auch zwischen zentralistischen und eher individuellen Ansätzen, war man sich im Ziel doch einig: das Meer als „a component of nation-building“ zu verstehen, ja als festen Bestandteil des (zu erobernden) Landes. Welche Problematik sich daraus wiederum ergibt, sowohl für das Selbstverständnis der israelischen Gesellschaft als auch für ihr Verhältnis zu den Nachbarn im Mittelmeerraum, ist eine Frage, die über dieses Buch hinausreicht.

Anmerkungen:
1 Mobile Culture Studies. The Journal 1 (2015): Die Schiffsreise – The Sea Voyage. https://unipub.uni-graz.at/mcsj/periodical/titleinfo/791909 (17.08.2020); Björn Siegel, Envisioning a Maritime Jewish Place. Arnold Bernstein and the Emergence of a Jewish Shipping Industry in the Interwar Years, in: Studies in Contemporary Jewry 30 (2018), S. 178–189; Maoz Azaryahu, The formation of the Hebrew Sea in pre-State Israel, in: Journal of Modern Jewish Studies 7/3 (2008), S. 251–267.
2 Naor Ben-Yehoyada, The Reluctant Seafarers. Fishing, Self-Acculturation and the Stumbling Zionist Colonisation of the Palestine Coast in the Interbellum Period, in: Jewish Culture and History 13/1 (2012), S. 7–24.
3 Yoram Kaniuk, Und das Meer teilte sich. Der Kommandant der Exodus, München 1999, S. 5.

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